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Authentizität: Eine Reise zum Kern des Selbst

"Sei du selbst, alle anderen sind schon vergeben." - Oscar Wilde

Dieser tiefsinnige Ausspruch von Oscar Wilde eröffnet unsere Auseinandersetzung mit Authentizität, einer Qualität, die weit mehr ist als nur ein psychologisches Konzept. Sie ist eine Lebensphilosophie, eine Haltung, die wie ein Spiegel unsere tiefsten Wahrheiten reflektiert. In diesem Artikel nehmen wir Sie mit auf eine Entdeckungsreise ins Herz der Authentizität. Unsere Suche nach der Bedeutung von Authentizität führt uns in die Welt des antiken Griechenlands und die moderne Psychologie.

Delphi im November 2021

Diese Worte, die oft Sokrates zugeschrieben werden, obwohl sie viel älter sind, verkörpern den Begriff der Authentizität - ein Begriff, der viel mehr bedeutet als nur Echtheit. Sie sind ein Aufruf zu tiefer Selbstreflexion und zum Verständnis der eigenen Persönlichkeit. In der griechischen Philosophie wurde Authentizität als eine Reise verstanden, die nicht nur das Erkennen, sondern auch das Annehmen und Leben der eigenen Wahrheit und Existenz umfasst.

Das griechische Wort "authentikos", eine Zusammensetzung aus "autos" (selbst) und "ontos" (sein), spiegelt diese Philosophie wider. Es zeigt, dass die Suche nach Authentizität untrennbar mit der Suche nach Wahrheit und Sinn verbunden ist. Die Lehren der antiken griechischen Philosophen, insbesondere von Sokrates, betonen den Wert der Authentizität als eine Lebensform, die durch das ständige Streben nach Selbstverständnis und die Ausrichtung des Lebens an diesem Verständnis gekennzeichnet ist.

Als ich in Delphi stand, fühlte ich mich mit dieser mächtigen Idee verbunden. Die Ruinen um mich herum waren stumme Zeugen der vielen Menschen, die im Laufe der Jahrhunderte auf der Suche nach Weisheit und Führung hierher gekommen waren. Sie erinnerten mich daran, dass Authentizität mehr ist als ein psychologisches Konzept; es ist eine tiefe, persönliche Reise zum Kern des Selbst - eine Reise, die mit dem mutigen Schritt beginnt, sich selbst zu erkennen und anzunehmen.

Dieser Besuch in Delphi war nicht nur eine Reise durch Zeit und Geschichte, sondern auch eine Reise in mein Inneres, eine Erfahrung, die mich inspirierte, mein eigenes authentisches Selbst zu erforschen und anzuerkennen.

Die psychologische Perspektive: Komplexität, Tiefe und subjektive Erfahrung

Diese tiefgründige Reflexion in den Ruinen von Delphi, wo einst die alten Griechen ihre Suche nach Weisheit begannen, führt nahtlos zu einer moderneren Perspektive - der Perspektive der Psychologie auf Authentizität. Heute, mit den Fortschritten der psychologischen Wissenschaft, wird Authentizität nicht nur als ein philosophisches Ideal betrachtet, sondern auch als ein wesentlicher Aspekt der menschlichen Psyche, der unsere Identität, unser Wohlbefinden und unsere Interaktion mit der Welt um uns herum tief beeinflusst. Diese moderne Sichtweise eröffnet uns neue Einsichten und Erkenntnisse darüber, wie wir als Individuen unser authentisches Selbst erkennen, entwickeln und zum Ausdruck bringen können.

In der Psychologie wird Authentizität als Ausdruck der zeitlichen Einmaligkeit und wesensmäßigen Einzigartigkeit eines Menschen verstanden, die ihn in allen Lebensbereichen unersetzlich und unvertretbar macht. Hier kommt „die (zeitliche) Einmaligkeit und (wesensmäßige) Einzigartigkeit (Unverwechselbarkeit, Unterscheidbarkeit) der Person zum Ausdruck, die sie in allen existentiellen Belangen (Entscheidungen, Handlungen, Verantwortungsformationen, Einstellungen und Sinnfragen) unersetzlich und unvertretbar macht“ [1].

Glöckner (2020) stellt das individuelle, subjektive Erleben von Kongruenz mit sich selbst in den Vordergrund. Authentizität als eine Form des erlebten Einsseins mit sich selbst kann verstanden werden als eine wahrnehmbare und evtl. auch im Auge des Betrachters erfahrbare und gefühlte positive, evtl. auch gefühlte negative Einheit und Stimmigkeit mit sich selbst. Das so verstandene „Selbst“ bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Gesamtheit der aktiven Persönlichkeitsanteile eines bestimmten Menschen in einem bestimmten Kontext.“

Diese Definition betont folgende Aspekte

1. die erlebte Einheit mit sich selbst: Dies betont die innere Erfahrung und das Gefühl der Kongruenz, das oft mit Authentizität einhergeht.

2. Sichtbarkeit für andere: Hier wird betont, dass Authentizität nicht nur eine innere Erfahrung ist, sondern auch von anderen wahrgenommen werden kann. Dies ist besonders relevant, da Authentizität oft in sozialen Interaktionen und in der Art und Weise, wie wir von anderen wahrgenommen werden, zum Ausdruck kommt.

3. Positive und negative Gefühle: Es ist wichtig zu betonen, dass Authentizität nicht immer als angenehm oder positiv empfunden wird. Manchmal kann das authentische Selbst eine Herausforderung darstellen oder zu Konflikten mit äußeren Erwartungen oder inneren Überzeugungen führen.

4. Kontextabhängigkeit: Authentizität ist kontextabhängig. Das bedeutet, dass das, was in einer Situation als authentisch empfunden wird, in einer anderen Situation nicht unbedingt der Fall sein muss.

Authentizität und Wesen

Von der individuellen, subjektiven Erfahrung der Kongruenz mit sich selbst öffnet sich der Weg zum "wahren Ich" und zum "Sein". Diese persönliche Erfahrung der Übereinstimmung unseres Denkens, Fühlens und Handelns ist ein zentraler Schritt auf dem Weg zur Selbstverwirklichung. Sie führt uns zu einem tieferen Verständnis unseres Seins, das jenseits oberflächlicher Identitäten liegt. In diesem Prozess der inneren Stimmigkeit entdecken wir das authentische Selbst - einen unverfälschten Ausdruck unserer Persönlichkeit, der unser wahres Wesen in seiner reinsten Form widerspiegelt.

In jedem von uns steckt ein "wahres Ich", unsere Essenz. Authentizität entsteht, wenn unser Handeln diesen inneren Kern widerspiegelt. Dies erfordert nicht nur Selbstreflexion, sondern auch ein Verständnis dafür, wer wir jenseits der sozialen Masken und Rollen sind.

In einer Gesellschaft, die von sozialem Druck und ständigem Wandel geprägt ist, wird die Bewahrung von Authentizität zu einer Herausforderung. Es ist ein Balanceakt zwischen dem wahren Selbst und den Erwartungen, die die Gesellschaft oder unsere Arbeitswelt an uns stellen. Authentisch zu sein bedeutet, den Mut zu haben, sich diesen Erwartungen zu widersetzen und der eigenen Wahrheit treu zu bleiben.

Fazit und Ausblick auf den nächsten Blog

Authentizität geht weit über bloße Echtheit hinaus; sie ist das tiefgründige Zusammenspiel von Integrität, Selbstbewusstsein und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und anderen. Es ist ein dynamischer Prozess des ständigen Selbst-Entdeckens und -Ausdrückens, der es ermöglicht, in verschiedenen Lebensbereichen und Situationen konsistent und wahrhaftig zu handeln. Authentizität bedeutet also, nicht nur das eigene wahre Wesen zu akzeptieren, sondern dieses auch mutig und unverfälscht in der Welt zu präsentieren.

Im nächsten Artikel der Serie werden wir das Thema „Autonomie: Die Kunst, man selbst zu sein“ beleuchten. Dabei wird es um die Bedeutung der Autonomie im Kontext der Authentizität gehen. Wie hilft uns das Verständnis unserer eigenen Autonomie dabei, authentisch zu bleiben, besonders in einer Welt, die oft Konformität fordert? Wir werden erkunden, wie die Wahrung der eigenen Autonomie nicht nur ein Akt der Selbstbehauptung ist, sondern auch ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu wahrer Authentizität. Freuen Sie sich auf praktische Anleitungen und Einsichten, wie Sie Ihre persönliche und berufliche Autonomie stärken und dabei Ihrem wahren Selbst treu bleiben können.

Quellen:

[1] Spektrum Lexikon der Psychologie: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/authentizitaet/1771

Das Bild habe ich selbst aufgenommen.